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Unbekannte Treffen

Kennt Ihr die Before Sunrise-Trilogie? Im ersten Film - Achtung Spoiler! - treffen sich zwei Unbekannte auf einem Zug und steigen beide zusammen in Wien aus. Sie verbringen den Nachmittag und die Nacht bis zum Sonnenaufgang gemeinsam.
Ich habe in den letzten Tagen den ersten und den zweiten Teil gesehen und liebe die Dialoge dieser Filme...

Heute will ich Euch eine Geschichte erzählen - eventuell passt sie zu Before Sunrise. Ob sie wirklich passiert ist? Ob ich sie mir ausgedacht habe? Ob ich mir vielleicht einen Teil dazugedacht habe? Who knows?

 

Ich stand vor der Käsetheke. Voll hin- und hergerissen, ob ich doch noch einen Stück Rambol bestellen sollte. Plötzlich rief mich M., sie hätte schon alles und wir sollten gehen. Ich drehte mich um und sah einen Unbekannten um die Ecke. Ich hatte ihn sicherlich noch nie gesehen. Lange Haare, Mittelscheitel à la Johnny Depp in den 90ern, grauer Kapuzenpulli. Ich weiß nicht, was es war. Aber irgendwas faszinierte mich. M. lief vor und ich folgte ihr, obwohl ich mir auf dem Gang des Supermarktes mehrmals umdrehte. Ich versuchte den Unbekannten in der Menge wieder zu sehen. Keine Chance. An der Schnellkasse angekommen, zahlten M. und ich und verließen anschließend den Supermarkt.

Als ich im Auto einstieg, stellte ich fest, das Brot nicht genommen zu haben. "Oh, mann! Ich habe das Brot vergessen!" "Hol' es doch schnell! Ich warte hier auf dich." sagte M.

Ich lief rein und dachte mir: "Als ob ich ihn jetzt wieder sehe!" Ich lief zum Brotstand und ... nein, kein Brot mehr für den Abend! Was noch übrig war, waren zwei Laugenstangen - naja, besser als nichts.

Ich dachte nicht mehr an den jungen Mann und dirigierte mich Richtung Kasse. Von sieben Gängen wählte ich ausgerechnet den Kassengang aus, wo der Unbekannte der Letzte der Schlange war. Was für einen Zufall! Die Schlange war ziemlich lang. Ich hätte vielleicht auch zur Schnellkasse wieder gehen können - ohne Schlange, schnell und 'schwind. Aber die paar Minuten hätten den Abend auch nicht geändert und ich eigentlich wollte ich auch kurz mit diesem Unbekannten reden. Wenn sich unsere Wege schon gekreuzt hatten!

"Du kannst vor!", sagte der Unbekannte mit einem hörbaren Lächeln. "Oh, danke!", waren die einzigen Worte, die ich aus meinem Mund rausbekam. Irgendwie aufgeregt, in der Eile was sagen zu wollen, was nicht wie Baby klang, die die Wassermelone getragen hatte, stand ich da. 

Ein älterer Herr nahte und lachte über die lange Schlange. "Naja, sieht so aus, als ob wir heute Abend 15 Minuten länger im Supermarkt brauchen werden!", er lachte kurz und sagte dann "Gut. Das Abendbrot steht sowieso noch nicht auf dem Tisch!" Der Unbekannte und ich lachten. "15 Minuten halten wir noch aus!", sagte der Unbekannte in einem spaßigen Ton und mit dem Wunsch was Witziges sagen zu wollen, sagte ich schließlich: "Also, ich werde versuchen, mich zu beeilen mit meinen zwei Laugenstangen!" Er lachte und ich begann, meine Laugenstangen auf dem Rollband zu legen.

Er kam mir näher. Näher als üblich an einer Kasse. Er hatte helle Augen. Sie wanderten rüber zu der Ware auf dem Rollband und mit witzigem Ton sagte er: "Na, wirklich viel hast du heute Abend wirklich nicht genommen." "Ich habe meinen Einkauf schon im Auto. Ich hatte nur das Brot vergessen, aber das Einzige, was es noch gab, waren diese zwei Laugenstangen..." "Oh, du Armes!", sagte er lachend - "Du kannst gerne mein Brot haben oder was auch immer aus meinem Einkaufswagen!" Ich lachte. So herzig! 
"Das ist ja lieb von dir! Aber für heute Abend wird das schon so passen... Und was isst du dann gleich?", ich entfröstelte mich so langsam... und er lachte darüber... ich glaube, er freute sich, dass ich das Gespräch auch in eine Richtung führen wollte. 

"Mal schauen, was sich aus diesem Einkauf zusammenstellen lässt.", sagte er halb unbeholfen, halb selbstironisch. "Mhm... Ich sehe da Kichererbsen - vielleicht wird es Hummus!" - Was für ein dummer Spruch von mir, dachte ich! Er redete weiter und so langsam war ich dran und musste zahlen. Wenn er mich nicht vorgelassen hätte, würden wir jetzt noch reden, dachte ich - um mir dann selbst zu sagen: ja, und er wäre nicht so nett gewesen!

Ich hatte bezahlt, entfernte mich von der Kasse und schaute zurück zu dem Unbekannten, von dem ich immer noch keinen Namen wusste. "Ich wünsche dir einen schönen Abend noch! Und danke nochmals fürs Vorlassen!", schrie ich halb in dem Chaos des Supermarktes. "Gerne! Den wünsche ich dir auch!", schrie er zurück mit seinen lachenden, hellen Augen.

Oh Mann, ich weiß gar nicht, wie er heißt! Wieso habe ich ihm nicht meinen Namen gesagt?! So ärgerlich! Wer weiß, ob wir uns wiedersehen werden?, dachte ich.

 

Als Marketeer stelle ich mir die Story im Schnelldurchlauf auch super, als Werbung für ein Schoko-Bonbon oder so vor. Sie würde aber deutlich kürzer sein:
Sie würde so beginnen, dass beide schon an der Kasse sind, die Ich-Erzählerin nur ihr Brot hat und d
er Unbekannte ihr folglich anbietet, sich etwas aus seinem Wagen zu nehmen. Sie würde sich den Schoko-Bonbon aussuchen und Schnitt auf sie, die die Praline aufisst!

Ich weiß, ich liebe Marketing!

 

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Kommentare: 1
  • #1

    Pipo (Samstag, 01 Mai 2021 20:41)

    Love it:)